Die Wirtschaftsdynamik des 21. Jahrhunderts fordert für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens eine veränderte Haltung bezüglich Fehler. Ein Paradigmenwechsel muss dafür vollzogen werden. In unserer westlichen Kultur sind Fehler im Denkmuster immer noch im Grundsatz negativ besetzt, Sie werden deshalb mit Sanktionen belegt. Modernes Business sieht Fehler als Entwicklungsmöglichkeit. In einer positiven Fehlerkultur können erfolgreich neue, unbekannte Wege eingeschlagen werden.
Stell dir ein Kind beim Spielen vor, wie es versucht, unterschiedliche Formen in die dafür vorgesehenen Öffnungen eines Würfels zu bugsieren. Passt nicht, geht nicht, Fehler. Es wird solange probiert, bis eine Lösung gefunden wird. Wenn alle Formen wiederholt zielsicher gefunden werden, verliert das Spiel seinen Reiz. Es gibt nichts mehr zu lernen.
Keiner würde hier auf die Idee kommen, den Fehler des Kindes zu sanktionieren. Jeder weiß, dass diese die Lernbereitschaft drastisch reduzieren würde.
Dann kommt das Kind in die Schule und alles wird anders! Jetzt werden Fehler plötzlich nicht mehr als Möglichkeit der Weiterentwicklung gesehen, sondern als Versagen.
Der Rotstift regiert!
Ab jetzt wird gelernt, Fehler zu vermeiden. Stärker noch aus Angst vor Sanktionen werden sie verleugnet und vertuscht. Die positive Fehlerkultur aus dem Kinderzimmer wird der Konformität geopfert.
Innovatives Vorgehen birgt Fehler. Unternehmen müssen also entscheiden, worauf sie setzen; Fehler als Potenzial der Weiterentwicklung zu sehen oder sie zu sanktionieren.
Regiert im Unternehmen die Überzeugung, dass Fehler um jeden Preis vermieden werden müssen, wirkt sich dies negativ auf die innovative Entwicklung aus. Wird Raum zugelassen, indem Mitarbeiter für Fehler öffentlich sanktioniert, bloßgestellt oder blamiert werden, werden sie dazu neigen, keine Verantwortung für Fehler zu übernehmen. Stehen Veränderungen an, werden alle möglichen Probleme im Voraus bedacht, um sich nicht auf vermintes Neuland begeben zu müssen.
Durch dieses zögerliche Handeln geht wertvolle Zeit verloren. Die Sicht auf das Wesentliche bleibt verstellt. Die Angst, einen Fehler machen zu können, verhindert das Richtige oder überhaupt etwas zu tun.
Angst verzerrt den Blick auf die Realität, führt zu noch mehr Fehlern und Stagnation. Angst vor Fehlern verhindert Begeisterung und behindert eine lernende Entwicklung unter den Mitarbeitenden.
Ein Klima der Angst bringt die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens in Gefahr.
Hier wird das Engagement der Mitarbeiter bestärkt. Sie werden ermutigt, Initiativen zu ergreifen, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Im lernenden Unternehmen werden Fehler nicht vertuscht, sondern reflektiert. Mitarbeitende sind zu einem echten Dialog bereit und lassen sich auf ein gemeinsames Denken ein. Sie lassen eigene Überzeugungen los, um im Team neue Handlungsweisen zu entwickeln.
Im Unternehmen wird die Überzeugung gelebt, dass innovatives Vorgehen unvermeidlich auch Fehler birgt. Sie haben verstanden, dass die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens nicht durch Fehler gefährdet wird, sondern durch fehlende Innovationen. Fehler bieten Chancen fürs Lernen und für die Entwicklung neuer Konzeptionen.
In so einer Unternehmenskultur hat bereits der Paradigmenwechsel stattgefunden und die positive Fehlerkultur aus dem Kinderzimmer ist zurück.
Vereinfacht gesagt, im Verhalten der Mitarbeitenden muss angstfreies, wissbegieriges kindliches Lernen wieder im Mittelpunkt stehen. Dafür müssen 20 Jahre Rotstiftdenken in den Köpfen deaktiviert werden. Dafür ist die Zusammenarbeit aller gefragt. Den Führungskräften obliegt eine wichtige Vorbildfunktion.
Wie kann diese Nonkonformität aktiv entwickelt werden?
Als entscheidenden erste Schritt sehe ich die Notwendigkeit, dass aus der Führungsetage klar das Signal kommt: Auch wir sind nicht unfehlbar. Auch wir machen Fehler. Man darf uns darauf konstruktiv ansprechen. Dann gilt es, mit langem Atem die 20 Jahre Konformität in Nonkonformität zu wandeln.
Dies hat Toyota in den 50ern bereits erkannt und das TPS entwickelt. Dieses Managementsystem fußt auf einer positiven Fehlerkultur und wird bis heute aktiv angewendet und weiterentwickelt.
Führungskräfte sind offen für neue Wege und hören aktiv zu. Sie vermitteln, dass alternative Sichtweisen mitgeteilt und diskutiert werden dürfen, ohne dass gleich widersprochen wird. Dieser echte Dialog ist für innovative Entwicklungen unentbehrlich. Verfahrensweisen werden gemeinsam überprüft, erforscht, hinterfragt und beigestellt. So kann Lernen wieder als Prozess gesehen werden.
Führungskräfte haben hier eine tragende Schlüsselrolle im Unternehmen. Sie haben die Aufgabe, das Mindset glaubwürdig zu vermitteln, dass Fehler einen produktiven Beitrag leisten.
Sie dienen der Sache und sind erlaubt, da sie Teil des innovativen Prozesses sind. Der Fehler und nicht der Mitarbeitende wird zur Schau gestellt.
Über den Fehler wird diskutiert, neue Einsichten werden gewonnen und die Chance auf eine zukünftige Vermeidung und Weiterentwicklung wird genutzt. In diesem Mindset wächst das Engagement der Mitarbeitenden für das Unternehmen und der Dienst nach Vorschrift wird minimiert.
Eine konstruktive Kultur der Kritik analysiert, reflektiert und sucht Lösungen.
Eigene Meinungen, Überzeugungen und Standpunkte werden zur Diskussion gestellt und wie selbstverständlich der Suche nach der besten Lösung untergeordnet.
Kritik ist fair und respektvoll. So kann sie wertfrei angenommen und verarbeitet werden. Eine sachliche Reflexion entwickelt und verbessert das eigene Bewusstsein für eigene Denkmuster und Handlungsweisen. Dadurch erhöht sich die Bereitschaft, für sein eigenes Handeln Verantwortung zu übernehmen.
Fehlervertuschung ist keine Option mehr, die einem einen Vorteil verschafft. Teams, die aus einem Mix von Nonkonformisten zusammengestellt sind, streiten am besten konstruktiv. Stimmt, es ist enorm anstrengend und fordernd, aber solche Teams machen das Unmögliche möglich.
Für eine Weiterentwicklung sind neben den Fehlern und ihrer Analyse auch die Erfolge wichtig.
Die Anerkennung der Erfolge, die das Team als Team erreicht hat, sind ein wichtiger Bestandteil einer positiven Fehlerkultur. Denn Erfolge sind selten die Summe individueller Leistungen, sondern das Resultat einer funktionierenden Zusammenarbeit.
Durch die Betonung der gemeinsamen Erfolge wird die positive Fehlerkultur kultiviert und das Team gestärkt, um neue Herausforderungen anzugehen und weiterhin erfolgreich zu sein.
Unternehmen tun also gut daran, sich gerade jetzt in einer Zeit, in der der Markt immer härter wird, sich mit einer positiven Fehlerkultur auseinandersetzen.
Dass das gelingen kann, hat ja Toyota nachhaltig bewiesen. TPS entstand in einer Zeit, in der sich Toyota in einer tiefen Krise befand. Und bis heute ist der positive Umgang mit Fehlern einer der Motoren, die die Innovationen des Unternehmens vorantreiben.
Innovation braucht den Raum für Versuch und Irrtum, denn nicht alles, was neu ist, ist gut, aber alles, was gut ist, war irgendwann mal neu.
Klar muss dabei sein, der Wandel zu einer positiven Fehlerkultur gleicht einem Marathon. Erst kleine Trainingseinheiten, die langsam immer größer werden dürfen und können, führen nach kontinuierlichem Training am Ende zum Ziel.
Mein Wissen basiert neben meiner beruflichen Erfahrung auch auf den unten genannten Titeln. Wer sich gerne weiter in diese Thematik vertiefen möchte, dem lege ich diese Titel wärmstens ans Herz.
Dweck, Carola (2017). Selbstbild – Wie unser Denken Erfolge oder Niederlagen bewirkt; 978-3-492-31122-9
Grant, Adam M. (2022). Think Again – Die Kraft des flexiblen Denkens; ISBN:978-3-492-071235-2
Nadella, Satya (2020). Hit refresh – Wie Microsoft sich neu erfunden hat und die Zukunft verändert; ISBN: 978-3-86470-681-3
Sprenger, Reinhard K. (2015), 13. Aufl. Das Prinzip Selbstverantwortung – Wege zur Motivation; ISBN: 978-3-593-50265-6